Westfälische Rundschau
Update - Trauerreden zur Schließung der WR
Zwei neue Trauerreden sind online: Lesen Sie, was Daniela Schneckenburger, Landtagsabgeordnete der Grünen, und Claudia Kokoschka, Leiterin des Kulturbüros der Stadt Dortmund, zur Schließung der WR-Redaktionen gesagt haben.
Hintergrund: An dieser Stelle veröffentlichen wir - nach und nach - die Trauerreden, die am 2.2. in Dortmund auf der Kundgebung gehalten bzw. vorgelesen wurden. Momentan online:
- Rede von Daniela Schneckenburger
- Rede von Claudia Kokoschka
- Rede von Ulrich Monegel
- Grußadresse von OB Ullrich Sierau
- Solidaritätsadresse von Schwelms Bürgermeister Jochen Stobbe.
"Ein schäbiges Stück Personalpolitik"
Trauerrede von Daniela Schneckenburger, MdL Bündnis 90/Die Grünen
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Westfälischen Rundschau,
Dortmund hat in den vergangenen Jahren schon Betriebsschließungen erlebt, und es waren viele bittere Momente für die Beschäftigten dabei. Ich habe aber selten eine so brutale, so rücksichtslos vollzogene Schließung erlebt wie die der Westfälischen Rundschau, die vor zwei Wochen erst verkündet wurde und heute schon umgesetzt ist. Das ist ein schäbiges Stück Personalpolitik des WAZ-Konzerns, was wir hier gerade erleben. Und das, was wir eben gehört haben, über die Verhandlungsstrategie des Managements, gehört zu diesem Eindruck dazu.
Ich fordere den WAZ-Konzern auf, den Arbeitsplatzabbau sozialverträglich zu gestalten und in faire Verhandlungen mit dem Betriebsrat zu gehen, um den Beschäftigten zumindest eine faire Möglichkeit zur beruflichen Neuorientierung zu geben.
Zu dieser brutalen Politik gehört aber auch, dass keine Presseerklärung, die wir z.B. gemacht haben, keine Stellungnahme zu dieser Schließung in der Westfälischen Rundschau gedruckt werden konnte. Im Gegenteil, die WAZ hat sogar eine Seite mit Solidaritätserklärungen aus der Rundschau entfernen lassen. Das ist Zensur, das ist ein Angriff auf die Meinungsvielfalt, und das ist eines Medienkonzerns nicht würdig!
Die Westfälische Rundschau war ein Blatt mit Qualität. Es gab viele gute Geschichten, die in der WR gedruckt wurden, ich will stellvertretend nur erinnern an die Aufdeckung des Envio-Skandals in Dortmund, die wesentlich mit der Westfälischen Rundschau verbunden war. Es geht darum auch ein wichtiges Stück Lokaljournalismus in Dortmund verloren, ein Stück Meinungsvielfalt, das jede Demokratie so dringend braucht. Und ich sage das ganz bewusst als Mitglied einer Partei, die Oppositionsarbeit auch in Dortmund aus langer Erfahrung kennt und darum weiß, dass Medienvielfalt das Fundament jeder demokratischen Öffentlichkeit und Beteiligungskultur ist.
Ich danke Ihnen für ihre journalistische Arbeit und fordere den WAZ-Konzern nochmals zu einem fairen Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Westfälischen Rundschau auf.
"Eine völlig neue Erfindung, auf die wir gern verzichtet hätten"
Trauerrede von Claudia Kokoschka, Leiterin des Kulturbüros der Stadt Dortmund
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch ich bin eine von vielen Stimmen im Kulturleben der Stadt, die sich nun Sorgen um die Medien- und Meinungsvielfalt in Dortmund machen. Dortmund ist immerhin die achtgrößte Stadt der Bundesrepublik mit über 580.000 Einwohnern.
Im Jahr 2010 sind wir mit den anderen Städten der Region angetreten, Kulturhauptstadt Europas zu sein. Viele Menschen haben sich engagiert, es gab große zentrale Veranstaltungen (z.B. Stillleben B1 oder Schachtzeichen) und unzählige Projekte in der Region und der ganzen Stadt. Die Aufrufe, sich zu beteiligen, die Berichte über das ganze Spektrum der Veranstaltungen wurden von den Dortmunder Zeitungen, so auch der Westfälischen Rundschau, begleitet. Das hat die Künstler unterstützt, die Besucher informiert, das Profil der Region nach außen getragen und zu lebhaften Debatten über die Ereignisse beigetragen.
Jetzt, drei Jahre später, erscheint die Westfälische Rundschau als Zeitung ohne Redakteure, eine völlig neue Erfindung, auf die wir gern verzichtet hätten, und das erst recht bei einem Traditionsblatt, das nach dem 2. Weltkrieg 1946 gestartet ist und den Aufbau der Bundesrepublik ebenso wie gesellschaftliches und politisches Leben in Dortmund jahrzehntelang begleitet hat. Und übrigens auch für viele Dortmunderinnen und Dortmunder so eine Art „publizistische Heimat“ war. Ich erinnere an markante Ereignisse wie den Stahlarbeiterstreik auf der B1, den wir mit Dortmunder Künstler/innen gemeinsam begleitet haben, oder die Fußballweltmeisterschaft oder eben die Kulturhauptstadt Europas. All diese Ereignisse haben unsere Zeitungen, so auch die Westfälische Rundschau, kommentiert und begleitet. Nun haben wir eine Stimme weniger!
120 Redakteure und Redaktionsmitarbeiter/innen sowie ihre Familien wurden von der bitteren Nachricht überrascht, sich plötzlich nach einer neuen Stelle umsehen zu müssen. Ihnen allen gilt unser Dank, unsere Solidarität und Unterstützung. Und man fragt sich, ob es nicht doch mehr Kreativität beim Suchen anderer Lösungen gegeben haben könnte!
In WAZ und WR erfuhr der Leser allerdings wenig über die Ereignisse, da musste man sich um andere bundesweite Medien bemühen (so lange es sie noch gibt, denn die Frankfurter Rundschau hat es u.a. ja auch schon erwischt). Immer weniger Journalisten in der Stadt bedeutet immer weniger Meinungsvielfalt. Kulturelle Vielfalt braucht aber Medien- und Meinungsvielfalt! Und Journalisten und Fotografen, die vor Ort das Geschehen verfolgen und kommentieren!
Es ist doch klar, dass nun auch quantitativ weniger berichtet werden kann, dass Kulturveranstalter und Künstler damit ihr Publikum noch schlechter erreichen können. Das trifft selten diejenigen Veranstalter, die über große Werbeetats verfügen, sondern eher die Kleinen und die Vielfalt, z.B. die vielen engagierten Menschen in den Stadtbezirken, die etwas bewegen wollen. Kulturarbeit wird überwiegend mit Steuergeldern gemacht: und die Bürger wollen wissen, wofür! Bei immer weniger Journalisten wird das schwieriger!
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass sich meine Kritik nicht an die Redakteure und Mitarbeiter der Ruhrnachrichten richtet, sondern an Verlagsleitungen, die sich gerade den Markt aufteilen und hier gemeinsam eine Rest-Rundschau als „Mogelpackung“ installieren, bis es auch der letzte Abonnent gemerkt hat und Konsequenzen zieht.
Natürlich hat sich die Medienlandschaft stark verändert, wir können uns Informationen nicht nur aus der Zeitung, sondern aus vielen Quellen wie TV, Rundfunk, Internet besorgen. Dennoch: Ich bin ein bekennender „Zeitungs-Junkie“ und mag morgens nicht mein Brötchen ins Laptop krümeln! Vielleicht ist das eine Generationenfrage, aber für uns Kulturveranstalter ist es derzeit noch ein Erfahrungswert, dass ein Teil des Publikums nicht über Internetzugänge verfügt und seine Informationen hauptsächlich aus der Presse bezieht.
Streit- und Diskussionskultur ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil von Kultur, und darüber hinaus ein lebendiges Element von Demokratie und Meinungsbildung, um die uns andere Länder ja (noch) beneiden! Unseren Solidaritätsaufruf für die Westfälische Rundschau haben daher viele Kulturveranstalter und Kunstschaffende unterzeichnet, z.B.:
- die Kulturbetriebe Dortmund mit dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte / der Stadt- und Landesbibliothek / dem Stadtarchiv Dortmund / der Musikschule / dem Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt / dem Museum Ostwall / dem Dietrich-Keuning-Haus sowie dem Kulturbüro,
- das Internationale FrauenFilmFestival Dortmund/Köln
- das Kino im U
- der Hartware MedienKunstVerein
- die freien Dortmunder Kulturzentren, u.a. das Theater Fletch-Bizzel, der Jazzclub domicil, das Künstlerhaus Dortmund, das Theater im Depot sowie
- der Verein für Literatur/Dortmund
- artscenico (freies Theater) und
- zahlreiche Künstler/innen und Kulturschaffende, u.a. Prof. Dr. Roland Günter, Vorsitzender des Deutschen Werkbund/Oberhausen.
Alles Gute für die Zukunft der Kolleginnen und Kollegen der Rundschau!
„Ein Verlust an Urbanität“
Trauerrede von Ulrich Monegel, Fraktionsvorsitzender der CDU Dortmund
Die Zeitungs-Landschaft im Ruhrgebiet versteppt.
Die Schließung der WR-Redaktion bedeutet für Dortmund auch einen Verlust an Urbanität – eine kalte Entscheidung in Richtung Provinz. Und das von einem Zeitungsverlag, der nicht müde wird, die Metropolregion Ruhrgebiet, die Kulturlandschaft Ruhrgebiet zu propagieren. In Dortmund, in Lüdenscheid, im Märkischen Kreis hätte es Optionen gegeben.
Fakt ist: In Essen, einer im Vergleich zu Dortmund schrumpfenden Stadt, wird ein neues Verlagszentrum gebaut. In Dortmund, der größten Stadt des Ruhrgebiets, wo man die Kräfte der Westfälischen Rundschau hätte bündeln können, löst die Konzernleitung die WR-Redaktion auf und führt nur den Titel fort. Ein in der deutschen Presselandschaft bisher einmaliger Vorgang. Statt Vielfalt jetzt Einfalt. Eine einfältige Entscheidung!
Mit dieser Entscheidung beendet der Konzern die Tradition einer geschätzten und respektierten, engagierten und kritischen Stimme in Dortmund. Er beendet auch die Tradition, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Betroffen sind: 120 feste und etwa 180 freie Mitarbeiter – ein Schlag für die Menschen und ihre Familien, ein Schlag gegen Dortmund.
Das ist ein Verlust an journalistischer Qualität.
Das ist ein Verlust an Meinungsvielfalt.
Das ist ein Verlust an Wettbewerb.
Das ist ein Verlust an Unabhängigkeit.
Und es ist ein Verlust an Urbanität.
Im Ergebnis bedeutet dies kulturelle Verarmung. Einen „alten Titel“ zu nutzen, um andere Zeitungen hinein zu stopfen, ist ein ausgemachter Etikettenschwindel.
"Ein solches Vorgehen ist nicht akzeptabel"
Grußadresse von Oberbürgermeister Ullrich Sierau
Liebe Dortmunderinnen und Dortmunder,
heute ist der erste Tag, an dem die Westfälische Rundschau in Dortmund und anderswo ohne eigenen selbst verfassten Lokalteil erschienen ist. Und ich denke, uns allen fehlt etwas. Die Schließung aller Redaktionen der WR war eine zutiefst traurige Nachricht, deren Tragweite wir heute schon spüren, aber deren Ausmaß wir erst in Monaten wirklich realisieren werden.
Doch zunächst gelten unser Mitgefühl und unsere Solidarität den rund 120 festangestellten und etwa 180 freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die seit gestern ihren Arbeitsplatz verloren haben. Viele von ihnen sind in ihrer beruflichen Existenz bedroht. Nach jahrelanger guter Arbeit für die WR wurden sie plötzlich und unerwartet ins Ungewisse entlassen. Nicht nur diese Tatsache, auch die Art und Weise, wie ihnen ihre Kündigungen und das Aus ihrer Redaktionen mitgeteilt wurde, ist bedrückend. Für ein Unternehmen wie den WAZ-Konzern, das in seinen Medien immer soziale Themen diskutiert hat und das für Vielfalt und Pressefreiheit steht, ist ein solches Vorgehen nicht akzeptabel. Der heutige Trauermarsch ist somit auch eine Demonstration der Solidarität für diese rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Mit der Schließung der WR-Redaktionen hat auch unsere Demokratie einen herben Schlag erlitten. Denn unsere Gesellschaft lebt von dem Wettbewerb der Ideen, von der uneingeschränkten, unzensierten Möglichkeit, Themen zu diskutieren und davon, sich über alle Bereiche des Lebens informieren zu können. Die Schließung der WR ist eine große, nicht umkehrbare Schwächung unserer Presselandschaft und damit gleichfalls unserer Demokratie.
Heute wird die Meinungs- und Medienvielfalt in Dortmund und der Region beerdigt. Ab heute gibt es hier nur noch eine Pressestimme. Nur noch eine Stimme, die Diskussionen führt, recherchiert, aufklärt und kritisch nachfragt. Und als Dortmunder Bürger fallen mir momentan sehr wenige Gründe ein, warum ich mehr als eine Tageszeitung, mehr als das Original, für Dortmund abonnieren sollte – sind die Inhalte doch identisch. Ich kann mir vorstellen, dass ich mit diesen Überlegungen nicht alleine stehe und deshalb bin ich mir nicht sicher, ob sich der WAZ-Konzern mit der Schließung der WR-Redaktionen nicht ein Eigentor geschossen hat.
Zum Schluss danke ich allen Dortmunderinnen und Dortmundern, die sich heute und in den vergangenen Tagen und Wochen für den Erhalt einer wirklichen Westfälischen Rundschau eingesetzt haben. Da wurden starke Zeichen für Medien- und Pressevielfalt gesetzt. Meine besten Wünsche für die Zukunft gelten den entlassenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ich hoffe, dass sich für sie bald wieder eine gute berufliche Zukunft abzeichnet.
"Den Funken Hoffnung auf Besinnung nicht verglimmen lassen"
Solidaritätsadresse von Jochen Stobbe, Bürgermeister der Stadt Schwelm
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ihre Situation ist schwierig und wurde in einer Art und Weise herbeigeführt, die ich nicht gutheißen kann. Neben der persönlichen Betroffenheit, nicht zu wissen, wie es weiter geht, werden mit einer solchen Entscheidung Ihre bisherige Arbeit und Ihr Engagement für eine umfassende Berichterstattung herabgewürdigt.
Gerade vor Ort bedarf es der direkten Berichterstattung, braucht es die Nähe zum Geschehen und das Wissen um die handelnden Akteure. Dies wird Ihnen als Aufgabe und uns als Meinungsvielfalt genommen.
Ihr Protest und Gegenwehr findet meinen vollen Respekt und Zustimmung, da wohl kein anderer Weg bleibt, um den Funken Hoffnung auf Besinnung nicht verglimmen zu lassen.
Auch wenn es mir heute persönlich nicht vergönnt ist, Ihnen meine Solidarität auszudrücken, will ich dies auf diesem Wege umso nachdrücklicher tun. Jede Reduzierung in der Presselandschaft lässt ein Stück Meinungsvielfalt sterben. Sie brauchen Arbeit in Ihrem Beruf und wir brauchen Ihre Meinung vor Ort.