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WR-Diskussionsabend in Dortmund

Zarte Online-Pflanzen letzte Hoffnung für Medienvielfalt in NRW?

03.02.2014

Was hat sich bei der Medienresonanz verändert? Dieser Frage ging Diskussionsrunde 1 nach: (v.l.) Tobias Scholz, Jutta Reiter, Moderator Jürgen Hoppe, Helmut Klasen, Fred Ape und Thomas Wette. Foto: DJV-NRW / SB

Seit einem Jahr gibt es in Dortmund und Umgebung keine Lokalredaktionen der Westfälischen Rundschau (WR) mehr. Am Freitag, 31.1., diskutierte der DJV-NRW mit Gästen die Auswirkungen der „westfälischen Medien-Einfalt“ und wollte wissen, was sich durch den Wegfall der regionalen WR-Berichterstattung verändert hat. Eine Frage, die insgesamt 60 Besucher interessierte. Im Studio B der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund hörten sie manche erstaunliche Aussage.Zum Beispiel eine so klare wie diese: „Es wird in Dortmund keine zweite Zeitung mehr geben.“ Geäußert von Zeitungsforscher Horst Röper, der dies zwar auch bedauert, ein solches Unterfangen aber aus betriebswirtschaftlichen Gründen für unmöglich hält. Daher warb der Leiter des Dortmunder Formatt-Instituts für das vom Land NRW angedachte Stiftungsmodell und plädierte dafür, die Mittel für Onlinemedien einzusetzen. „All diese zarten Pflanzen – mehrere Dutzend in NRW – sind unterfinanziert und leben von Ausbeutung.“  Dabei stellten die hyperlokalen Webauftritte, so Röper, die letzte Hoffnung in punkto Medienvielfalt dar.„Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie Journalismus überhaupt noch bezahlt wird“, legte Ulrike Kaiser, stellvertretende Bundesvorsitzende des DJV, den Finger in die Wunde. Was passiert, wenn immer mehr klassische Medienhäuser und Verleger sich aus dem Nachrichtengeschäft zurückziehen, weil es nicht mehr ganz so lukrativ ist wie über Jahrzehnte hinweg? Der DJV stehe dem Stiftungsmodell „neugierig erwartungsvoll“ gegenüber, erklärte Kaiser, und man sei durchaus bereit, kooperativ mitzugehen. Sie rief alle Journalisten auf, solchen Ideen zunächst einmal positiv(er) zu begegnen.Wie sieht es also in Dortmund und Umgebung mit der Medienvielfalt aus, nachdem die Funke-Mediengruppe die lokale Berichterstattung in ihrem früheren WR-Gebiet komplett eingestellt hat? „Kommunalpolitik spielt eine untergeordnete Rolle“, erklärte Thomas Wette, Vorsitzender der SPD Neuenrade. Von fünf Parteien im Rat würden kaum mehr alle gehört, wenn nur noch ein einziger Journalist die Ratssitzung verfolge. „Für mich ist das eine Einschränkung der Demokratie.“ Die Medienarbeit habe sich auf jeden Fall verändert, bemerkte Jutta Reiter vom DGB. Zum einen könne man nicht mehr abschätzen, wer zu Presseterminen komme. Zum anderen habe sie das Gefühl, dass politisch weniger in der Stadt passiere – „oder es passiert außerhalb der Medienlandschaft“.Nur eine Tageszeitung für eine Großstadt wie Dortmund: Das findet Helmut Klasen beschämend. Der frühere stellvertretende Vorsitzende der Kreishandwerkerschaft Dortmund hat jahrelang (von 1976 ab an) mit drei Lokalzeitungen vor Ort gelebt und gearbeitet: WAZ, WR, Ruhr Nachrichten (RN). Pressekonferenzen habe die Kreishandwerkerschaft nun im letzten Jahr abgeschafft. Themen ließen sich aber über den direkten Kontakt zur Redaktion der RN setzen, die die WR mit lokalen Artikeln füllt. Kulturschaffender Fred Ape hat ähnliche Erfahrungen gemacht – und lobte die Redakteure der RN für ihre Bemühungen, im eigenen Blatt Pro- und Contra-Perspektiven zu bringen. Im Bereich Veranstaltungshinweise und Tipps sei seine Medienresonanz nicht schlechter geworden. Vielleicht aber die Leserschaft kleiner, zieht man die zurückgehenden Abo-Zahlen der Zombie-Zeitung WR heran...Dem Mieterverein Dortmund fehlt die zweite Perspektive, die es früher durch die Konkurrenz der Zeitungstitel gab. Bei für den Verein wichtigen Themen, so die Erfahrung des wohnungspolitischen Sprechers Dr. Tobias Scholz, müsse er nun nachhaken, ob ein Bericht darüber erscheint, generell wisse man nicht mehr, wann mit einer Veröffentlichung zu rechnen sei. „Es ist auf jeden Fall eine Umgewöhnung“, lautete sein Fazit nach einem Jahr.Alles anders – das trifft erst recht auf die ehemaligen WR-Redakteure zu. Bernd Maus ist einer von ihnen, er gibt inzwischen das Sauerland-Magazin „Komplett“ heraus. „Es war kein schönes Arbeiten mehr bei der WR die letzten drei Jahre“, berichtete er Freitagabend. „Jetzt kann ich wieder gründlicher arbeiten – und das macht mich persönlich glücklicher als wie eine gehetzte Sau durchs Dorf getrieben zu werden.“ Genau wie seine Kollegen sieht er die neue Profession realistisch: Das Magazin sei ein Türöffner. Darauf aufbauend müssten sich nun weitere Projekte entwickeln.„Wir wollen im Journalismus etwas machen, und ich hoffe, wir können auch davon leben“, erklärte Alex Völkel, inzwischen in Dortmund auf Presseterminen nicht mehr als WR bekannt, sondern als Nordstadt-Blogger. Er ist tief in den Themen der Nordstadt verwurzelt, fährt aber auch ein hohes Arbeitspensum. Ob sich das „eigene Baby“ trägt, lote er gerade aus. Völkel erinnerte bei der Diskussion an die vielen Kolleginnen und Kollegen, die innerhalb von 14 Tagen ohne Job dastanden. „Die meisten sind in ein tiefes Loch gefallen.“Nicht so Heino Baues, der trotz jahrzehntelangen Printredakteur-Daseins ebenfalls den Sprung ins Online-Nachrichtengeschäft geschafft hat. Er ist für den Bergkamener Infoblog tätig, muss zum Glück nicht davon leben, ist aber glücklich, das Leben der Stadt und der Region den Menschen auf diese Weise näher bringen zu können. Traditionelle Zeitungsleser erreiche er nicht. Dafür aber im Grunde genau die Menschen, denen die Verleger hinterherrennen würden, findet er. // SB

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